Der Demokratische Sozialist


Staat, Parteien und das ZDF
Kommentar von Jochen Bülow, Neuwied

Der Staat soll keinen bestimmenden Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben. So will es das Grundgesetz, so hat es das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt: Unabhängiger Journalismus und staatliche Gängelei vertragen sich nicht. Aber Roland Koch (CDU) will Nikolaus Brender, den Chefredakteur des ZDF, nicht länger ertragen. Deswegen scheint der hessische Ministerpräsident zum Verfassungsbruch bereit.

Am kommenden Freitag entscheidet der Verwaltungsrat des ZDF über die Weiterbeschäftigung von Nikolaus Brender. ZDF-Intendant Markus Schächter würde Brenders Vertrag verlängern. Zahlreiche Mitarbeiter und viele Prominente haben sich für den Chefredakteur des ZDF stark gemacht. In der vergangenen Woche kritisierten 35 renommierte Verfassungsrechtler in einem offenen Brief „den offenkundigen Versuch, den Einfluss der Parteipolitik zu stärken“. Ein beispielloser Vorgang.

Seit neun Jahren ist Brender als Chefredakteur des ZDF im Amt, genauso lange nervt er Rosarote, Schwarze, Grüne, Gelbe und gelegentlich Rote mit journalistischer Unabhängigkeit. Brender nimmt den Auftrag des Journalisten ernst. Unvergessen sein Auftritt bei der Wahlnachlese 2005, als er den abgewählten Bundeskanzler mit „Herr Schröder“ ansprach. Aber Unabhängigkeit lieben Politiker an Journalisten hauptsächlich dann, wenn sie die Laudatio bei der Verleihung von Pressepreisen halten. Das geschieht meistens sonntags – montags ringen Politiker aller Couleur wieder um Einfluss auf die Medienberichterstattung, besonders die elektronische: Das Fernsehen macht Gewinner und Verlierer, das wissen auch die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Weil in den Gremien die Führungspositionen vergeben werden ist die Besetzung der Rundfunk- und Verwaltungsräte hochpolitisch, meistens Chefsache. Und deswegen sägen Roland Koch und die CDU an Brenders Stuhl.

Schon im Februar hatte Koch in einem FAZ-Interview eine volle Breitseite auf Brender und das ZDF geschossen – und musste sich vorhalten lassen, sachlich falsche Vergleiche anzustellen: Entgegen seinen Behauptungen sind die Nachrichtensendungen des ZDF gegenüber denen der ARD nicht abgestürzt, haben im Gegenteil gute Quoten und Zuschauerzahlen. Dass Nachrichtensendungen öffentlich-rechtlicher Sender grundsätzlich Zuschauer an die Krawall- und Busennachrichten der Privaten verlieren, kommentierte Brender seinerseits gallig: „Nachrichtensendungen ohne Politiker sind quotenträchtiger. Das zeigt die private Konkurrenz. Diesem verführerischen Hinweis von Herrn Koch werden wir aber nicht nachgeben“.

Denn der Auftrag des gebührenfinanzierten Fernsehens ist eben nicht der Profit, also die Quote. ARD und ZDF, Phönix, Arte und der Kinderkanal sind der Aufklärung und dem Pressekodex verpflichtet, sie sollen Meinungsbildung durch Information ermöglichen und parteipolitisch unabhängig sein. Allein darauf basiert die Berechtigung, Gebühren zu kassieren. Wenn Roland Koch und Edmund Stoiber in Mainz das ZDF für die Parteien im Allgemeinen und angesichts der Mehrheiten im Verwaltungsrat für die CDU im Besonderen kapern wollen, legen sie Hand an die Grundfesten der öffentlich-rechtlichen Sender. Allein, dieses Ansinnen ist keineswegs alleine konservatives Gedankengut: Auch sozialdemokratische Ministerpräsidenten nehmen gerne und häufig Einfluss auf journalistische Personalentscheidungen – so es die Mehrheiten denn hergeben. Und als Oskar Lafontaine noch saarländischer Ministerpräsident mit einem anderen Parteibuch war, hat das von seiner Mehrheit durchgesetzte saarländische Pressegesetz der Freiheit und Staatsferne ebenfalls kein Denkmal gesetzt.

Wenn Kurt Beck nun öffentlich auf Koch und Konsorten eindrischt und die Mitglieder des ZDF-Verwaltungsrates zur Unabhängigkeit ermuntert vergisst er großzügig, dass der Rundfunkstaatsvertrag auch mit den Stimmen der SPD beschlossen worden ist. Und dass man bei Sozialdemokratens nicht belustigt war, als Nikolaus Brender den Gerade-noch-Kanzler zum simplen Herrn Schröder machte, ist unvergessen. Insofern besorgen Koch und Stoiber sozusagen stellvertretend für die Parteien die Durchsetzung des Allmachtsanspruchs der bezahlten Politik.

Übrigens: Kaum vorstellbar, dass so eine Attacke ohne das Wissen und die Zustimmung der Kanzlerin möglich wäre. Einer Kanzlerin, die noch selber erleben musste, wie Diskussion und Meinungsvielfalt unmöglich werden, wenn Medien im Staatsauftrag publizieren.

Presse- und Rundfunkfreiheit ist schließlich auch eine der wichtigsten Lehren des Faschismus: nie wieder Hugenberg, nie wieder ein Staats- oder Parteienmedienmonopol. Meinungsvielfalt und Ideenwettstreit sollten in Westdeutschland die Grundlagen demokratischer Meinungsbildung sein. Mindestens ebenso gefährlich wie die Profitinteressen von Bild, Pro 7 und Google bei Print, Fernsehen und Internet sind deshalb die Gleichschaltungsfantasien der Politik. Nicht umsonst haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Pressefreiheit im Artikel 5 für unveränderlich erklärt. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, erkannte Rosa Luxemburg schon ein halbes Jahrhundert früher – und stellte damit nebenher fest, dass für uns als Linke Pressefreiheit keine verhandelbare Position sein kann.

Auch unsere Bundestagsfraktion hat heute endlich auf den seit Monaten schwelenden Skandal reagiert. Ob der in der Pressemitteilung vorgeschlagene "Parteienrückzugsvertrag" allerdings zielführend ist, wäre zu prüfen: Tatsächlich sind die Parteien im parlamentarischen System die Organisatoren der politischen Interessen, ganz praktisch delegieren sie die Mandatsträger, die im Bundestag die Gesetze beschließen. Parteien aus der politisch-gesellschaftlichen Steuerung der öffentlich-rechtlichen Sender auszuschließen wäre da durchaus ein Paradoxon. Denn wer bestimmt anschließend über die Zusammensetzung der Verwaltungsräte?

Sinnvoller wäre aus meiner Sicht, die Kompetenzen der Räte dahingehend zu beschneiden, dass eine Einflussnahme auf die Besetzung journalistischer Positionen ausgeschlossen wäre. Lothar Bisky hat sich anlässlich der kurz zurückliegenden Diskussion über den Neuabschluss des Rundfunkstaatsvertrages für die Öffentlich-Rechtlichen so geäußert. Ein solcher Vorschlag ist nicht nur sofort umsetzbar, er ist verhindert auch die politisch bedingte Einflussnahme im Sinne pflegeleichter Führungs-Journalisten.

Denn wenn es nicht dazu kommt, wird das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich seiner ständigen Rechtsprechung hinsichtlich der Staatsferne von ARD und ZDF treu bleiben und die verschlafene Politik aus ihrem Dornröschenschlaf wecken. Dies wäre eine erneute medienpolitische Bauchlandung der Bundesregierung und ein klares Signal an Merkel und Koch: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk dient nicht der Beweihräucherung von Mandatsträgern oder Regierungen.

jobü, 26-11-12.00h